Schwerpunktheft (digital)
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Einleitung
Der Beitrag befasst sich mit den Schattenseiten von Arbeit und Leben in der modernen kapitalistischen Gesellschaft, speziell mit dem Formwandel der Arbeit. Wie kam es zur Herausbildung von Lohnarbeit, wie ist diese dann so normiert worden, dass von einem Normalarbeitsverhältnis gesprochen werden kann, und wie ist zu erklären, dass die sozialen Formen dieser Normalität aufgelöst worden sind und inzwischen 60 Prozent der globalen Arbeitskräfte informelle Arbeit leisten? Dafür ist die Globalisierung mit ihrem Wettbewerbsdruck auf alle Standorte verantwortlich. Um Kosten zu senken, werden Regeln dereguliert und die Formen der Arbeit aufgelöst, die menschliche und soziale Sicherheit und auch so etwas wie würdige Arbeit vermittelt haben. Arbeit wird also informalisiert, und nicht zufällig ist seit den 1970er Jahren in den Sozialwissenschaften die Rede von informeller Arbeit. Sehr häufig, aber durchaus nicht immer und notgedrungen, landen informell Arbeitende in prekären Verhältnissen.
Der Beitrag zeigt die Breite der mit Informalität angesprochenen Phänomene auf und ordnet diese drei zentralen Informalisierungsprozessen zu: Auslagerung der Produktion in ungeregelte, ungesicherte Bereiche; Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse; Informalisierung als Überlebensstrategie von Menschen ohne Zugang zu gesicherter Erwerbsarbeit. Es wird ein Kategoriensystem vorgestellt, das zwischen reziproker, kommodifizierter und tributärer Arbeit unterscheidet, gleichzeitig aber davon ausgeht, dass die Tendenz zur Verallgemeinerung bezahlter, regulierter Erwerbsarbeit eine eurozentrisch-westliche Verengung der Perspektive darstellte, periphere Regionen ausklammerte und zudem auf den Zeitraum 18801980 beschränkt war. Aus globalhistorischer Perspektive ist es dagegen notwendig, die Gleichzeitigkeit und Kombination von Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen, die sich durch den ständigen Wechsel und die Gegenläufigkeit von parallel stattfindenden Formalisierungs- und Informalisierungsprozessen auszeichnen.
Der Beitrag behandelt die Ausprägungen informeller Arbeit im Umfeld der argentinischen Automobilindustrie. Auf der Grundlage qualitativer empirischer Forschungsergebnisse wird herausgearbeitet, dass Informalität oft in Gestalt von Grauzonen zwischen regulären und irregulären Tätigkeiten auftritt und nur durch eine mehrdimensionale Perspektive zu erfassen ist, die neben der Produktions- auch die Haushaltsebene einbezieht. Der Artikel schlägt ein dynamisches Informalitätskonzept vor. Neben der Erwerbsarbeit im industriellen Bereich werden auch die Nebeneinkünfte und Konsummuster im Haushalt der ArbeiterInnen sowie Auffälligkeiten in den Erwerbsbiografien am empirischen Beispiel beleuchtet und reflektiert.
Dieser Beitrag liefert eine Übersicht zu Genese und Ausmaß informeller Arbeit und Beschäftigung in China im Zuge der Marktöffnung nach 1978 und analysiert die jüngst von der chinesischen Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Re-Regulierung von Informalität. Die staatliche Politik in Bezug auf informelle Arbeit wird als Doppelbewegung beschrieben, da sie zunächst die Grundlage für die Ausweitung informeller Beschäftigung gelegt hat, seit einigen Jahren aber deren Eindämmung betreibt. Die dazu ergriffenen Maßnahmen beheben die reale Unsicherheit der Beschäftigung jedoch kaum, zumal sie in vielen Fällen nicht greifen. Im Ergebnis bleibt die Qualität der meisten Arbeitsverhältnisse vertraglich unbestimmt und unzureichend. Die fortexistierenden realen Ungleichheiten in der chinesischen Arbeitswelt können besser in den Blick genommen werden, wenn das Prekaritätskonzept auf den chinesischen Fall angewendet wird.
Der Artikel setzt sich mit den Kontinuitäten informeller Arbeitsbedingungen in der andalusischen Landarbeit auseinander. In diesem Kontext werden die Verhältnisse zwischen (Mehrheits-)Gewerkschaften, informeller Arbeit, Migration und der Produktion von Gemüse in den Fokus der Analyse gerückt. Hierbei werden historische Bezüge mit aktuellen empirischen Daten verknüpft und auf diese Weise Verschiebungen in der informellen Arbeit rekonstruiert. So ist für die andalusischen Obst- und Gemüseexporte trotz Modernisierung und Industrialisierung die Handarbeit vieler häufig irregulär beschäftigter, meist immigrierter Arbeitskräfte der Garant geblieben. Die Rolle der Mehrheitsgewerkschaften ist in diesem Kontext ambivalent und oftmals auf die Kontrolle der Verhältnisse orientiert.